Sonntag, 1. Oktober 2017

Spanien – Katalonien


Als 1975 endlich der faschistische Diktator Francisco Franco starb, erwachte kurz der Trau, Spanien könnte in der Lage sein, sich vom diktatorischen Faschisten- und Polizeistaat zu einer Demokratie zu wandeln. Eine oberflächliche Demokratisierung setzte ein, kontrastiert von der noch 1974 von Franco und seinen Schergen reinstallierten Monarchie, damals allerdings noch ohne König, der sozusagen als Krönung des neuen Spaniens dann installiert wurde. Eine negative Melange aus Franco-Faschisten, Monarchisten und vordergründig sich republikanisch gebenden Pseudodemokraten bestimmte nun die Politik, von Europa heftig unterstützt.

Anders als beim allgemein als böse definiertem Deutschland bestand niemand auf einer spanischen Vergangenheitsbewältigung: weder seiner hauseigenen faschistischen Gräueltaten noch seiner horriblen, blutigen Kolonilal- und Ausbeutepolitik. Die fünfhundertjährige Grauensgeschichte des spanischen Regimes in Lateinamerika blieb unkritisch wenig beachtet, offiziell oft gegenteilig verteidigt, erst recht die faschistischen Verstrickungen derFranco-Faschisten.

Im Gegenteil. Im Zuge der „Modernisierung“ vermochten die lebendigen Reste der Franco-Faschisten in Spanien ihre Pfründe zu halten und zu sichern. Der braune Ungeist regiert bis heute und trägt zur Unterminierung der Demokratie ebenso bei, wie die weitverbreitete und vertiefte Korruption.

Unter Franco hatte Katalonien besonders zu leiden. Seine Sprache wurde verboten, die aktive Kulturpflege eingeschränkt, behindert oder verboten. Spanien pochte auf seinen Sieg: erfolgreiche Invasion der Bourbonen 1714. Kurze Intermezzi waren die Rebellion 1934 der Generalität bzw. die ganz kurze Phase der linken Republikaner vor dem spanischen Bürgerkrieg, den Franco mit seinen Faschisten gewann, nachdem Nazi-Hitler-Deutschland tatkräftig mit seiner Luftwaffe intervenierte, ebenso das faschistische Italien „Beistand“ leistete. (Die Geschichte des spanischen Bürgerkriegs und der weiteren Unterstützer der Nationalisten unter Franco, darunter Großbritannien, Irland, Portugal sowie der Gegenseite, der Republikaner und ihrer Unterstützter Sowjetunion, Mexiko und Internationale Brigaden, verdient jetzt noch genauer studiert zu werden!) Das Trauma, das die Katalanen in ihrer wechselvollen Historie der Fremdbestimmung, Ausbeutung, Verfolgung und Unterdrückung erleiden musste, ist tief. Es bestimmt auch heutige Ressentiments gegen das immer noch franco-faschistisch verseuchte Spanien der Aragonesen und Kastillier. Nicht zuletzt der korrupte Machtpolitiker Mariano Rajoy heizt die Stimmung an, spaltet wo er nur kann, um seine Machtpolitik in Machomanier zu festigen. Sein Weg ist einer in den Bürgerkrieg.

Europa, die EU, nimmt eine unheilvolle Stellung ein. Den Brexit der Briten mussten sie annehmen. Die Selbstbestimmungsversuche eines Autonomiegebietes negieren sie, verschanzen sich hinter fadenscheinigen Verfassungsparagraphen, die nicht vorsähen, dass ein Landesteil sich löse. Hat die Schweizer Verfassung so einen Paragraphen? Nein. Trotzdem war die Bildung des Kanton Jura friedlich. Sogar die exkommunistischen Nationen und Länder Slowakei und Tschechien vermochten sich ohne Bürgerkrieg zu trennen; beide wurden Mitgliedsstaaten der EU. In Spanien soll die Einheit durch Polizei und Militär gewährleistet werden? Sozusagen als neue europäische Befriedungspolitik: Schaut her: Selbstbestimmung wird niedergeschossen. Wer sich abspalten will, wird umgebracht. Man droht auch mit Isolation, Nichtanerkenntnis usw. Weshalb? (Das koloniale England hat die IRA zum Einlenken gebracht, die ETA hat ihren Widerstand gegen das faschistoide Spanien aufgegeben – lauter Erfolgsmeldungen für die Staatsführungen...)

Über Kurz oder Lang wird das zu einem Bürgerkrieg führen. Die Lehre, die jetzt schon zu ziehen ist: Es ist völlig naiv auf Selbstbestimmung zu pochen und zu vertrauen, dass sie gesittet und friedlich in Europa zu erreichen sei. Faschistoide Länder wie Spanien stützen sich nicht auf kollektiven Zusammenhalt und Gemeinverständnis, sondern auf Polizei und Militär, auf Aussetzung von Rechten, auf Verfolgung, Verhaftung und, in Kürze, wieder auf Folter und regelrechtes Abschlachten im Bürgerkrieg unter dem Beifall der Geschäftemacher. Immerhin hat dieses Land mit seinem hauseigenen Faschismus eindrücklich bewiesen, welche Schandtaten, welche Gräuel seine Schergen zu vollbringen fähig und bereit sind.Ihre Trumpfkarte ist aber die EU. Denn Katalonien könnte, auch wenn es sich loslöste von Spanien, nicht gegen dessen Willen Mitglied der EU werden. Die EU müsste ihre Regeln ändern, was aber unrealistisch ist. Man sieht: In gewissen Fällen kann ein Mitgliedsstaat andere in die Geiselhaft nehmen. (Eine Änderung wäre ja auch hinsichtlich der Strafmaßnahmen bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen notwendig, bis hin zum Ausschluss, was aber ebenfalls unrealistisch wäre zu erwarten. Die EU bleibt ein täuschender oder kollaborierender Papiertiger.)

Hätten die Katalanen eben nicht naiv auch militärisch vorgesorgt (Waffendepots, Sprengstoffe etc.), könnten sie der Zentralregierung den Krieg „heimbringen“. Vielleicht kommt das noch. Spanien hat eine große Armee, eine große Poliozeitorganisation. Aber, wie man aus vielen Ländern heute weiß, nützten weder diese noch dauerhafter Ausnahmezustand vor dem Terror. Vielleicht wird Katalanien in Bälde mit Terror antworten. Vielleicht verstehen die Spanier, besonders die faschistischen Mörderbanden, (nur) diese Sprache. Denn es ginge dann nicht nur um Leben, sondern eine tiefe Schädigung der angeschlagenen Wirtschaft. Wenn der Tourismus wegfällt, weil der Krieg nicht in Katalonien bleibt, wo jetzt über 10.000 Polizisten die Rechte der Katalanen aushebeln im Namen der Verfassung und Demokratie, wo sie wie faschistische Rollkommandos schlägernd wütet, wird es eng werden für Rajoy und seine Kumpane. Vielleicht nimmt die EU dann die Rolle von Hitler-Deutschland 1936 ein? Es wäre das Fanal für einen weiteren Verfall der Union.





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