Mittwoch, 2. August 2017

Erinnerung & Erinnerungskultur

Eine Notiz:

In seinem Essay "To civilize our gentlemen" (1965) (in: Language & Silence), beleuchtet George Steiner an einem Detail die Malaise unserer Bildung(spolitik)/(sentwicklung), die indirekt die Bedeutung der Erinnerung, auch der sogenannt kollektiven, als Lebensnerv aufzeigt:
"The point is not tirvial. As footnotes lengthen, as glossaries become more elementary (right now it might still be 'Troilus: Trojan hero in love with Cressida, daughter of Calchas, and betrayed by her,' but in a few years the Iliad itself may require identification), the poetry loses immediate impact. It moves out of any direct line of vision into a place of special learning. This fact marks a very large change in the consensus assumed between poet and public. The world of classical mythology, ..., is receding from our natural reach."
Steiner zitiert später einen Ausspruch von Kierkegaard: "It is not worth while remembering that past which cannot become a present." Das, was nicht wiederbelebt, vergegenwärtig werden kann, braucht nicht erinnert werden, oder: Erinnern, echtes Erinnern, ist Vergegenwärtigen. Schöner Hinweis auf Informationsverarbeiter, die einen, so scheint es manchmal, zu einem Speicher und Zeichenverwalter degradieren, als ob es genügte, die Zeichen zu speichern, abzurufen, zu verbinden etc.

In der Vergegenwärtigung, der Interpretation, liegt mehr. Dieses "Mehr" macht den Unterschied!

Aber die Gegenwart ist nichts in sich Ruhendes, Abgeschlossenes, Eigenes. Sie ist immer eine Kulmination aus Vergangenem und sich gegenwärtig Gebendem, das in eine Zukunft rollt, außer der Abbruch durch Tod tritt ein.

Ich erinnere mich da der Worte von Sigmund Freud, der gemeint hat:
"Endlich kommt die merkwürdige Tatsache zur Wirkung, daß die Menschen im allgemeinen ihre Gegenwart wie naiv erleben, ohne deren Inhalte würdigen zu können; sie müssen erst Distanz zu ihr gewinnen, d.h. die Gegewart muß zur Vergangenheit geworden sein, wennn man aus ihr Anhaltspunkte zur Beurteilung des Zukünftigen gewinnen soll."
(Freud: Die Zukunft einer Illusion)
Ein Hinweis, ein Argument für geschichtliches Denken: Rückschau, Erinnerung, kurz das, was aus Distanz in anderm Licht und (Über)Blick (er)faßbar wird! Man könnte Freud auch so verstehen, dass aus oder in "bloßer" Gegenwart keine Beurteilung eines Zukünftigen möglich wäre.

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