Sonntag, 6. August 2017

Die Gesellschaft, ihr Überbau und die Unterwerfung

Es geht nicht gar so schlimm. How are you? Fine, just fine, hat zu sagen, wer nicht zum Spielverderberr werden will. Doch kann ich - auch dies ist unveräußerliches Menschenrecht - das Spiel als schon verdorben ansehen. Es fehlt nicht an Gründen, aus denen ein Abseitsstehen, das freilich Gefahr läuft, zur Abseitigkeit zu werden, vernünftig sich rechtfertigen läßt. (S.126)

Gleichwohl habe ich einen mir sehr bewußten und sogar treulich gehegten Widerstand dagegen, Chiffre zu sein in einer Struktur von Fakten und nach der Untersuchung zu reden mit einem Manne, der seinerseits nichts ist als die Magnetophonstimme, die eben diese zu Strukturen geordneten Fakten in meine Alltagssprache übersetzt. Reaktionärer Unfug. (S.127)

Denn weit über den Zwang des objektiv gesellschaftlich Gegebenen hinaus erschien vorm Horizont ein Überbau der Entindividualisierung und Deshumanisation, der manche Züge generellen Gestörtseins und kollektiv suizidärer Narrenlust trug. (...)
Da der Nachdenkende ohnehin dazu tendierte, den ganzen Begriff des Überbaus, dem ja eine einsichtige Infrastruktur hätte entsprechen müssen, zu liquidieren, trat der zur Leerformel und Hohlform gewordene Mensch als ein multikausal bedingtes Phänomen ihm entgegen. (...)
Der Mensch - oder für diese Art der Konstruktion richtiger ausgedrückt: das menschliche Wesen - dachte nicht, sondern wurde gedacht von der durch ihn zur Manifestation gelangenden Struktur. Er handelte nicht: die Struktur agierte durch sein Medium. (S.131f)

Jean Amery: Unmeisterliche Wanderjahre. Stuttgart 1985

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