Donnerstag, 6. Juli 2017

Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, 4. Buch 311

311.

Gebrochenes Licht. — Man ist nicht immer tapfer, und wenn man müde wird, dann jammert unser Einer auch wohl einmal in dieser Weise. „Es ist so schwer, den Menschen wehe zu thun — oh, dass es nöthig ist! Was nützt es uns, verborgen zu leben, wenn wir nicht Das für uns behalten wollen, was Aergerniss giebt? Wäre es nicht räthlicher, im Gewühle zu leben und an den Einzelnen gutzumachen, was an Allen gesündigt werden soll und muss? Thöricht mit dem Thoren, eitel mit dem Eitelen, schwärmerisch mit dem Schwärmer zu sein? Wäre es nicht billig, bei einem solchen übermüthigen Grade der Abweichung im Ganzen? Wenn ich von den Bosheiten Anderer gegen mich höre, — ist nicht mein erstes Gefühl das einer Genugthuung? So ist es recht! — scheine ich mir zu ihnen zu sagen — ich stimme so wenig zu euch und habe so viel Wahrheit auf meiner Seite: macht euch immerhin einen guten Tag auf meine Kosten, so oft ihr könnt! Hier sind meine Mängel und Fehlgriffe, hier ist mein Wahn, mein Ungeschmack, meine Verwirrung, meine Thränen, meine Eitelkeit, meine Eulen-Verborgenheit, meine Widersprüche! Hier habt ihr zu lachen! So lacht denn auch und freut euch! Ich bin nicht böse auf Gesetz und Natur der Dinge, welche wollen, dass Mängel und Fehlgriffe Freude machen! — Freilich, es gab einmal „schönere“ Zeiten, wo man sich noch mit jedem einigermaassen neuen Gedanken so unentbehrlich fühlen konnte, um mit ihm auf die Strasse zu treten und Jedermann zuzurufen: „Siehe! Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ — Ich würde mich nicht vermissen, wenn ich fehlte. Entbehrlich sind wir Alle!“ — Aber, wie gesagt, so denken wir nicht, wenn wir tapfer sind; wir denken nicht daran.

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