Freitag, 6. Juli 2012

Franz Bleis 70. Todestag

Franz Blei, 18. 1.1871-10. 7.1942, war ein österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker.

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Auszug aus "Der Magier" In: Männer und Masken, Berlin 1930


Alles Religiöse ist mit dem seelisch Kranken verwurzelt. Die krankhafte Furcht vor dem Tode produziert immer aufs neue diese sonderbaren Abwehr- und Schutzformen des Religiösen, denn der Mensch will leben. Ihn vor diesen dunklen Gewalten seiner Seele zu schützen, dazu sind die Kirchen da. Die Kirchen kanalisieren das trübe, morastige Gewässer, bauen Schutzwehren, Dränagen, geben Gott was Gottes, dem Leben was des Lebens ist. Die Kirche ist der rationelle Faktor im Irrationalen des religiösen Zustandes. Nie gab eine Kirche das Gebot, die Vernunft nicht zu gebrauchen. Und immer ist eine ihrer Aufgabe bewußte Kirche höchst mißtrauisch gegen Wunder und Stigmata, mögen sie sich auch noch so sehr in den geläufigen Formen einer dogmatischen Orthodoxie bewegen. Sie sieht in dem Grob-Materiellen solcher Erscheinungen durchaus keine erwünschte Bestätigung ihrer ganz auf das Spirituelle gerichteten Arbeit und Lehre. Sie weiß aus alter Erfahrung, daß, wo immer solche vom Religiösen Besessene auftauchen, ein trüber Schwall von allerlei Aberglauben einbricht, der nur zu oft die geistliche Macht zwingt, die weltliche Macht des Gendarmen anzurufen, also abzudanken. Dagegen spricht nicht, daß da und dort der Pfarrer des Ortes konfus wird und den Portier seines stigmatisierten Pfarrkindes macht. Er weiß nicht, daß durch einen Zufall der Vorsehung sich Wunder immer nur vor jenen produzieren, die daran glauben müssen, weilósie keinen Glauben haben, aber private Wünsche, für deren Erfüllung sie auf dem Umweg über ein Wunder den lieben Gott inkommodieren.

Wie alles, so mechanisieren sich auch die kultischen Gebräuche eines Glaubens, und das Gebet wird bald nicht mehr gebetet, sondern hergesagt. Aufrüttelnd wirkt auf solche Mechanik dann immer das Wunderbare, seien es in der Küche herumfliegende Töpfe oder Blut, das am Freitag aus den Augen rinnt. Und was der Kirche in ihrem Vertreter, dem Pfarrer, nicht gelang, daß er zum Beispiel einen Bruder davon abbringe, eine Zivilehe zu schließen oder einem Stummen die Sprache wiederzugeben, das erhofft man sich nun von der wundertätigen Magd. Es ist erbärmlich wenig, was sich Christen da wünschen. Es drückt sich da keine besonders große und tiefe Vorstellung vom Göttlichen aus. Aber der Mensch ist ja nur ein Mensch. Und dem armen Laien ist nicht zu verdenken, wenn er, am Leben hängend, so sehr an sich und an sein bißchen Leben denkt; wenn Scharen kranker Priester in Lourdes auf das Wunder ihrer Genesung warten, wo man doch annehmen müßte, daß es für die Priester nichts Erwünschteres geben könnte, als diese Erde so rasch wie möglich gegen das Himmelreich zu vertauschen, hic et nunc, und nicht in zwanzig Jahren.

Die großen Heiligen aller Religionen haben sich immer gegen das Wundertun gewehrt. Sie haben es nie als ihr Wesen charakterisierend erkannt, denn sie waren nicht dafür gekommen, um zu verblüffen, Staunen zu erregen, als Magier zu gelten. Jesus hatte nicht wenige wundertätige Zeitgenossen. Nur Mitleid mit der hilfsbedüritigen Kreatur mochte ihn dazu bringen, heilend die Hände aufzulegen. Ein Beweis seiner Mission war das mitnichten. Eine Legitimation seiner Lehre war es ihm nie.

Wem und was beweist das oberpfälzische Mädchen, die Theres? Daß eine seit Jahren erkrankte Seele Macht über den sie behausenden Leib gewinnt, von einem eiternden Blinddarm, der über Nacht kommt und vergeht, bis zu Blutungen, die sich in die traditionellen Blutmale Christi begeben, mit welchen Vorstellungen die Phantasie von früh auf genährt wurde in dieser überaus frommen Oberpfalz ó es wäre erstaunlich, wenn bei dieser Kranken

diese Blutmale nicht aufträten. Sie würde in der unübersehbaren Schar der religiös Besessenen eine seltene Ausnahme darstellen, denn ihnen allen sind die Stigmata und das sentimentale Miterleben der Kreuzigung die Höchstleistung, die immer erreichte, ihres Gleichgewichtsverlustes. Denn nichts anderes als ein Verlust dieses Gleichgewichtes ist solche individuelle religiöse ÑErfahrung'`, des Gleichgewichtes zwischen dem Leben im Geiste und dem Leben in der Gesellschaft. Man stelle sich etwa eine Epidemie solcher seelischen Erkrankung vor, hunderttausend Frauen einer Stadt davon ergriffen,ójede Form Lebens würde ins Chaotische stürzen, irdisches Leben würde ein Tollhaus werden, und das spirituelle Leben würde nichts davon gewinnen. Es gab solche Epidemien, und die Kirche als die Ratio war es, die

dagegen auftrat, wenn nicht anders, so mit Feuer und Schwert. Die Kirche weiß, daß sie im gefährlichsten Material arbeitet, welches das Religiöse ist. Sie manipuliert mit stärksten Sprengstoffen und Giften. Sie kann nicht vorsichtig genug sein. Denn diese Vorsicht ist ihre wesentliche, vielleicht ihre einzige Aufgabe. Sie weiß, daß sie einen Widerspruch lebt und einen Kompromiß darstellt. Sie muß diesseitig und jenseitig sein, starr und elastisch. Sie darf die die Kirche speisenden Quellen des Religiösen nicht unterdrücken, muß gefaßt sein und ist es, daß sie am unbewachtesten Ort aufbrechen. Denn sie weiß, die Geschichte der Kirche ist im Grunde eine Geschichte der Häresien. Sie verstellt keiner religiösen Kraft den Weg; sofern diese Kraft stark genug ist, selber Weg zu weisen, folgt sie ihr. Das zeigen alle Figuren der großen Heiligen: Bernhard, Franz, Ignaz.


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