Freitag, 2. März 2012

Karl Kraus & Gottfried Benn


Karl Kraus hat in seiner FACKEL Gottfried Benn nur viermal genannt. Zweimal, in der Ausgabe Nr. 890-905 vom Juli 1934, in sehr erhellender Weise, die zeigt, wie alert und wissend der Jude Kraus, dem die Gutmenschen Unvernunft und Antisemitismus (als selbsthassender Jude) vorwerfen, nicht nur die „deutsche „ Kultur“ verstand, sondern auch die Politik, und da auch nicht nur die heimische und deutsche.

Kraus:

So wollen wir denn sagen, daß die Not, der ein deutsches Sprachwerk und zumal ein solches ausgeliefert ist, nicht nur die Übersetzung in fremde Sprachen betrifft, sondern hauptsächlich die ins Deutsche. Denn was würde wohl von einem Werk, das in diesem nicht bloß »verfaßt«, sondern aus der deutschen Sprache erschaffen ist, übrigbleiben, wenn es in diejenige übersetzt würde, die heute von deutschen Lesern verstanden wird? Das eben macht ja das besondere Sprachwunder aus, daß hier Bedeutung und Verwendung sich so erschütternd absondern, weil der Weg vom Wert zum Nutzen, vom Gedanken zum abnehmbaren Sinn ein viel weiterer ist als in jeder andern Sprachsphäre. Darum dürfte es der Leser fast so schwer haben wie der Übersetzer, und gerade mit manchem Versuch, den unser Autor unternommen haben könnte, den Sündenfall deutschen Lebens sprachtheologisch zu betrachten.

Da dürften radikale Schwachköpfe, welche von dem, der die Sprache »meistert«, nichts weiter als den Ausdruck seiner oder gar ihrer Meinung verlangen, sein Schweigen vielleicht einer Strapaze vorziehen, wie er sie ihnen etwa durch eine Auseinandersetzung mit jenem Denker Gottfried Benn zugemutet hätte, der in einem bemerkenswerten geologisch-feuilletonistischen Wirrwarr den jetzt sich regenden »Typ« (unverwüstliches Berlin!) aus dem »Irrationalen« abgeleitet und zur Deutung nicht mit Unrecht auf das »Quartär« zurückgegriffen hat, wo es freilich noch kein Radio und kein Feuilleton gab. Der auf Äonen eingestellte Schwärmer hatte wirklich der Ansicht Ausdruck gegeben, daß es sich gar nicht um eine neue Regierungsform handle, sondern »um eine neue Vision von der Geburt des Menschen, vielleicht um die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse, wahrscheinlich um eine der großartigsten Realisationen des Weltgeists überhaupt«. Da man aber solches nicht mit Bestimmtheit wissen kann und zunächst das Greifbare zu erwägen ist, so wurde ihm der Vorschlag gemacht, statt der irrationalen Bemühung und des metaphysischen Ausbaus der Konzentrationslager lieber der folgenden Untersuchung näherzutreten:

    Vielleicht würde ein Literat, der sich der Sprache immerhin bis zum Ornament genähert hat, es sogar verstehen und schließlich glauben, daß in der journalistischen und rednerischen Bekundung des neuen Denkens bisher auch nicht ein deutsches Wortgebilde sichtbar oder hörbar geworden ist, nicht eines, das den deutschen Inhalt nicht Lügen strafte.« Die Sprache verdankt freilich dem Umsturz, der wohl schon im Grundwort Nazi' sich als Realisation des Weltgeistes andeutet, manche neuen Bildungen, und solche, die man eben vor dem Aufbruch des neuen Wesens unmöglich hätte erringen oder durchdenken können. Damit sind nicht etwa aparte Formen gemeint, wie man sie auch in der jüdischen Presse antrifft, die prinzipiell jedes Wort, das ihr nur unter die Hände kommt, krumm biegt und schwer beugt; nicht der falsche Dativ, der durchweg als der einzige Kasus anerkannt ist: »belli«, des Kriegsfußes, auf dem alle deutsche Publizistik mit der deutschen Sprache lebt; nicht die Unfähigkeit, den simpelsten gedanklichen Inhalt logisch zu stilisieren und die einfachste Konstruktion durchzuhalten; nicht anderseits die Konsequenz, mit der sich alles Großdeutsche die Einmischung des Auslands »verbietet«. Nicht einmal der Umstand, daß die nationalsozialistische Presse Deutschlands die Mahnung erläßt:

Deutscher, lese nur arische Zeitungen!

Denn:

Vergeß nicht, daß du ein Deutscher bist!

Die Fackel: Nr. 890-905, 07.1934:88-89

In derselben Ausgabe ist weiter unten (S. 94f) zu lesen:

Bemerkenswert, daß dem Autor sogar die Wendung abhanden kam über eine Diktatur, »die heute alles beherrscht außer der Sprache«, und in einer Presse auftauchte, von der man es doch schon früher behaupten konnte. Der wahre Umsturz im Sprachbereich blieb aber jenen verborgen, die der Fackel den Mut zu einer Kritik abgewonnen haben, die schon an Selbstverleugnung grenzt, indem ja schließlich beide Teile zugeben müßten, daß ihr tägliches Handwerk darin besteht, »Artikeln« zu schreiben. Was sich nun im tieferen Grunde der Sprache begibt, davon konnte die eigentliche Betrachtung des neuen Wesens ausgehen, zu der gleichfalls der ins Quartär schweifende Benn – nicht Kosmopolit, aber kosmischer Wüstling – angeregt hat:

Am liebsten bezöge ich sie von einer Vision, die, dank jenem schon eröffnet, zwar nicht die Geburt des Menschen betrifft, jedoch den Untergang der Sprache, als des wahren Seins, welches Macht hat, diejenige zu entlarven, die das Volk heute spricht und die man einst dem Volk verdanken wird.« Von welcher Welt Geist sie statt vom Weltgeist herstammt, es ließe sich leichter feststellen, als durchs Rassenamt: »ob noch jüdisches Blut vorhanden ist«. Bis in alle Bastardierung durch den Kommerz und bis in den Betrug der alten Metapher durch eine neue Wirklichkeit. Und welche Enthüllung für den, der der Sprache nahekam, wäre überraschender, welcher Anblick schlagartiger als der der Worthülse, die sich wieder mit dem Blute füllt, das einst ihr Inhalt war? Beglückend, wenn dies Blut nur metaphorisch wäre: das Blut des Gedankens, der die Echtbürtigkeit des Wortes beglaubigt. Gorgonisch, da es der Aufbruch physischen Blutes ist, das aus der Sprachkruste zu fließen beginnt. (Es ist – im neuen Glauben, doch ohne daß er's noch ahnt – das Wunder der Transsubstantiation.) Wie doch die Erneuerung deutschen Lebens der alten Redensart zu ihrem unseligen Ursprung half – bis sie ihrer Verwendbarkeit im übertragenen Wirkungskreis verlustig wurde! Denn dem wahren philosophischen Sinn des Ereignisses: daß sich hier zum erstenmal, seit es Politik gibt, der Floskel das Wesen entband, und daß nun etwas wie blutiger Tau an der Redeblume haftet – solchem Sinn gehorcht auch die Metapher, die man in ihre Wirklichkeit zurückgenommen sieht. Wenn diese Politiker der Gewalt noch davon sprechen, daß dem Gegner »das Messer an die Kehle zu setzen«, »der Mund zu stopfen« sei, oder »die Faust zu zeigen«; wenn sie überall »mit harter Faust durchgreifen« wollen oder mit »Aktionen auf eigene Faust« drohen: so bleibt nur erstaunlich, daß sie noch Redensarten gebrauchen, die sie nicht mehr machen. Die Regierung, die »mit aller Brutalität jeden niederschlagen will, der sich ihr entgegenstellt« – tut es. »Ausstoßen aus der Deutschen Arbeitsfront« läßt das Brachium erkennen, mit dem deren Machthaber an einer Kehlkopfverletzung beteiligt war; und vollends erfolgt die Absage an das Bildliche in dem Versprechen eines Staatspräsidenten:

Wir sagen nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn, nein, wer uns ein Auge ausschlägt, dem werden wir den Kopf abschlagen, und wer uns einen Zahn ausschlägt, dem werden wir den Kiefer einschlagen.

Es geschieht aber auch ohne die Vorbedingung. Und diese Revindikation des Phraseninhalts geht durch alle Wendungen, in denen ein ursprünglich blutiger oder handgreiflicher Inhalt sich längst zum Sinn einer geistigen Offensive abgeklärt hat. Keine noch so raffinierte Spielart könnte sich dem Prozeß entziehen – selbst nicht das entsetzliche: »Salz in offene Wunden streuen«. Einmal muß es geschehen sein, aber man hatte es vergessen bis zum Verzicht auf jede Vorstellung eines Tätlichen, bis zur völligen Unmöglichkeit des Bewußtwerdens. Man wandte es an, um die grausame Erinnerung an einen Verlust, die Berührung eines Seelenleids zu bezeichnen: das gibt's immer; die Handlung, von der's bezogen war, blieb ungedacht.

* * *

Die FACKEL Nr. 890-905 hatte den Titel "Warum die Fackel nicht erscheint". Sie ist sehr lesenswert! 

Hunderte von Literaten und Philosophen jauchzten den Nazis zu; einige wurden rasch enttäuscht und sprangen ab, durch die "spürbare Realität" doch ernüchtert und abgeschreckt. Aber all ihre Intelligenz und ihr hohes Künstlertum hat sie nicht nur nicht davor bewahrt, den Unmenschen und ihrem Führer zu folgen, sondern brachte sie, durch ihre eigentümlich völkische Idealgesinnung,  ins braune Feld. 

Das heißt nicht unbedingt, dass sie Nazis blieben oder ihre Werke nazistisch sind. Es beweist nur, dass zwischen Philosophie und Dichtung oder Schriftstellerei und politischer Haltung Abgründe klafften und klaffen können, und dass Personen wie Kraus hellhörig wach waren,  während andere, wiewohl sie das Gegenteil vorgaben, im Dunklen raunten und wähnten – bis einige dann doch noch erwachten. 

Zudem liefert Karl Kraus in dieser Fackelausgabe eine Medien- und Sprachkritik, die ihresgleichen sucht. Es gibt, auch im Ausland, nichts Adäquates aus jener Zeit. Ja sogar heute schwelgen viele Theoretiker weit unter dem damaligen Niveau, wie es der "Einzeltäter" Kraus unter Beweis stellte. 
Das sollte auch zu denken geben!


1 Kommentar:

  1. Nun: An Karl Kraus sind zwei Dinge bemerkenswert: Haltung: Treue zum Menschen; Sprache : das Wort. Mit begeisterten, oder Lob winselnden Literaten hatte er nichts zu im Sinn.
    Im Gegensatz zur auch von Kraus nicht klar gestellten Spekulation der Literaten ist kein Kunstgenuß geeignet, menschenverachtende Haltung zu heilen. Dies geht nur durch Reue. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, daß eben solche Haltung sich auch in literarischem Stilversagen zeigt. Benn ist ohnedies so etwas wie ein dichtender Heidegger. Wolkender Begriff und hin gedrechseltes Wort.

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