Freitag, 10. Februar 2012

175. Todestag von Alexander Puschkin


Alexander Sergejewitsch Puschkin (Алекcа́ндр Серге́евич  26. Mai jul./ 6. Juni 1799 greg. in Moskau - 29. Januar jul./ 10. Februar 1837 greg., Sankt Petersburg) gilt als russischer Nationaldichter und Begründer der modernen russischen Literatur.




Auszug aus der Erzählung „Die Pique-Dame“ (1834), übersetzt von Alexander Eliasberg:

VI.

Zwei unverrückbare Gedanken können in der Welt des Abstrakten unmöglich nebeneinander wohnen, wie in der Welt des Greifbaren zwei Körper unmöglich den gleichen Raum einnehmen können. In Hermanns Phantasie wurde das Bild der toten Alten ganz von den drei Karten – Drei, Sieben und Aß – verdrängt. Drei, Sieben und Aß gingen ihm nicht aus dem Kopfe und wichen nicht von seinen Lippen. Wenn er ein junges Mädchen sah, sagte er: »Sie ist schlank wie eine Coeur-Drei!« Wenn man ihn nach der Zeit fragte, sagte er: »In fünf Minuten eine Sieben.« Jeder beleibte Herr erinnerte ihn an das Aß. Drei, Sieben und Aß verfolgten ihn selbst im Traume und nahmen da alle möglichen Formen an: die Drei blühte als ein wunderbarer Grandiflorus, die Sieben erschien ihm als ein gotisches Portal und das Aß in der Gestalt einer Riesenspinne. Alle seine Gedanken liefen immer auf das eine hinaus: wie das so teuer erkaufte Geheimnis ausnutzen? Er wollte den Dienst quittieren und Reisen unternehmen. In den öffentlichen Spielsälen von Paris wollte er die Göttin Fortuna versuchen. Ein Zufall machte dies alles überflüssig. In Moskau hatten einige reiche Spieler einen Klub begründet; den Vorsitz führte der berühmte Tschekalinskij, der sein ganzes Leben am Spieltisch verbracht und Millionen erworben hatte, indem er Wechsel gewann und bares Geld verlor. Seine langjährigen Erfahrungen verschafften ihm das Vertrauen seiner Freunde; durch seine Gastfreundschaft, gute Küche und Liebenswürdigkeit erwarb er sich die Achtung des Publikums. Er siedelte nach Petersburg über. Die Jugend strömte scharenweise in sein Haus und vergaß die Bälle über den Karten und die Lockungen der Damenwelt bei den Lockungen des Pharao. Hermann wurde zu ihm von Narumow gebracht. Sie passierten eine Reihe prunkvoller Zimmer, in welchen wohlerzogene Lakaien herumstanden. Alle Säle waren überfüllt. Einige Generale und Geheimräte spielten Whist, die jüngeren Gäste lehnten in den Sofas, aßen Gefrorenes und rauchten Pfeifen. Im Salon stand ein langer Tisch, um den sich etwa zwanzig Spieler drängten; der Hausherr selbst hielt die Bank. Es war ein etwa sechzigjähriger Herr von höchst ehrwürdigem Äußern, sein Kopf war stark ergraut, sein volles frisches Gesicht drückte Gutmütigkeit aus, seine Augen leuchteten und lächelten unaufhörlich. Narumow stellte ihn Hermann vor. Tschekalinskij drückte ihm freundschaftlich die Hand, bat ihn, wie zu Hause zu sein, und fuhr fort, die Bank zu halten. Diese Taille dauerte lange. Auf dem Tische lagen gegen dreißig Karten. Nach jedem Wurf machte Tschekalinskij eine Pause, um den Spielern Gelegenheit zum Ordnen ihrer Karten und zum Ankreiden ihrer Verluste zu geben. Er hörte höflich jeden Wunsch an und glättete noch höflicher die aus Versehen umgebogenen Kartenecken. Endlich war die Taille zu Ende. Tschekalinskij mischte die Karten und machte Anstalten, mit der neuen Taille zu beginnen. »Gestatten Sie, daß ich mitspiele,« sagte Hermann, seine Hand hinter einem sehr korpulenten Pointeur hervorstreckend.
Tschekalinskij lächelte und nickte bejahend. Narumow gratulierte Hermann laut lachend zur Beendigung der langen Abstinenz und wünschte ihm einen glücklichen Anfang. »Ich setze!« sagte Hermann, den Betrag über ankreidend.
»Wieviel?« fragte der Bankhalter sich vorneigend. »Sie verzeihen, ich kann es nicht lesen.« »Siebenundvierzigtausend,« erwiderte Hermann. Alle Augen richteten sich aus Hermann. »Er ist wahnsinnig!« dachte Narumow.
»Gestatten Sie die Bemerkung,« sagte Tschekalinskij mit dem gleichen Lächeln, »daß Ihr Spiel sehr hoch ist; hier hat noch niemand über zweihundertfünfundsiebzig simple gesetzt.«
»Nun,« sagte Hermann, »wollen Sie meine Karte schlagen oder nicht?«
Tschekalinskij nickte wieder höflich bejahend.
»Ich möchte noch bemerken,« sagte Tschekalinskij, »daß ich, wie ich es dem mir entgegengebrachten Vertrauen schuldig bin, nur mit barem Geld Bank halte. Ich bin, natürlich fest davon überzeugt, daß Ihr Wort genügt. Lediglich der Ordnung wegen bitte ich Sie, Ihren Einsatz auf die Karte zu legen.«
Hermann zog ein Bankbillett aus der Tasche und reichte es Tschekalinskij. Dieser sah es flüchtig an und legte es auf Hermanns Karte. Dann begann er zu werfen. Rechts fiel eine Neun, links eine Drei.
»Gewonnen!« sagte Hermann, seine Karte vorzeigend. Unter den Spielern erhob sich ein Gemurmel. Tschekalinskij wurde ernst, sein Lächeln kehrte aber gleich wieder. »Wünschen Sie das Geld gleich in Empfang zu nehmen?« fragte er Hermann. »Wenn ich bitten darf.«
Tschekalinskij zog aus der Tasche einige Bankbilletts und beglich den Verlust. Hermann nahm das Geld und verließ gleich den Tisch. Narumow war ganz bestürzt. Hermann leerte ein Glas Limonade und fuhr nach Hause. Am nächsten Abend erschien er wieder bei Tschekalinskij, der auch diesmal die Bank hielt. Als Hermann an den Spieltisch trat, machten ihm die Pointeurs gleich Platz. Der Wirt lächelte ihm freundlich zu, Hermann wartete eine neue Taille ab und setzte dann auf eine Karte seine siebenundvierzigtausend und noch den gestrigen Gewinn dazu. Tschekalinskij spielte aus: rechts fiel ein Bube, links – eine Sieben.
Hermann zeigte seine Sieben.
Man schrie förmlich auf. Tschekalinskij wurde verlegen. Er zählte vierundneunzigtausend ab und übergab sie Hermann. Dieser nahm das Geld höchst kaltblütig in Empfang und ging sofort nach Hause.
Am nächsten Abend war er wieder da. Man erwartete ihn bereits, die Generale und Geheimräte hatten ihren Whist verlassen, um diesem ungewöhnlichen Spiel zuzusehen. Die jungen Offiziere verließen ihre Sofas, selbst die Lakaien kamen herbei. Alles drängte sich um Hermann. Die anderen Spieler setzten gar nicht und warteten erst den Ausgang ab. Hermann stand dem bleichen, aber noch immer lächelnden Tschekalinskij als einziger Pointeur gegenüber. Jeder nahm ein Spiel neuer Karten in die Hand. Tschekalinskij mischte, Hermann hob ab, wählte sich eine Karte und bedeckte sie mit einem Haufen von Banknoten. Es sah wie ein Duell aus. Tiefes Schweigen herrschte ringsum.
Tschekalinskij spielte mit zitternden Händen aus: rechts fiel eine Dame, links – ein Aß.
»Das Aß hat gewonnen!« sagte Hermann und zeigte seine Karte.
»Ihre Dame ist geschlagen!« versetzte Tschekalinskij verbindlich.
Hermann zuckte zusammen: er hatte in der Tat statt eines Asses eine Pique-Dame besetzt. Er traute seinen Augen nicht und begriff nicht, wie er sich hatte irren können. In diesem Augenblick kam es ihm vor, als ob die Pique-Dame mit den Augen blinzelte und ihm zulächelt. Eine ungeheure Ähnlichkeit fiel ihm auf.
»Die Alte!« schrie er ganz außer sich.
Tschekalinskij kassierte die verlorenen Banknoten ein. Hermann stand wie versteinert. Als er seinen Platz am Tisch verließ, erhob sich ein Lärm von vielen Stimmen.
»Er hat es gut gemacht!« meinten die Spieler.
Tschekalinskij mischte die Karten, und ein neues Spiel begann.

Epilog.

Hermann wurde verrückt. Er befindet sich jetzt im Obuchowschen Spital auf Nummer siebzehn. Er antwortet auf keine Frage und murmelt mit rasender Geschwindigkeit unaufhörlich vor sich hin: »Drei, Sieben, Aß! Drei, Sieben, Dame!...«
Lisaweta Iwanowna verheiratete sich mit dem Sohn des ehemaligen Verwalters der alten Gräfin, einem liebenswürdigen jungen Menschen, der irgendwo im Staatsdienst ist und ein kleines Vermögen besitzt. Sie hat eine arme Verwandte als Pflegetochter bei sich aufgenommen. Tomskij ist Rittmeister geworden und hat die Fürstin Pauline geheiratet.








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen