Montag, 12. September 2011

Die fatale Art eines Nihilismus, gepaart mit unbändigem Hass

Lektüreanmerkung mit nachdenklicher Erweiterung:
 
„In seinen Versen war keine Bejahung der Welt, jene Bejahung, die wir in dere Kunst als Sympathie des Künstlers zum Dargestellten, sei es ein Apfel oder ein Baum, herausfühlen. Sie offenbarten nur eine tiefe Störung des Gleichgewichts. Die Kunst lässt uns manches ahnen. Die Welt Bachs oder die Welt Breughels war geordnet, hierarchisch geschichtet; die moderne Kunst enthält viele Beispiele blinder Leidenschaft, die an Formen, Farben und Tönen sich nicht sättigen kann. Die sinnliche Betrachtung des Schönen ist nur möglich, wenn der Künstler Liebe fühlt zu der ihn umgebenden Welt. Wenn er aber nur Ekel empfindet, dann hält es ihn an keinem Ort, und er wird unfähig, sich umzusehen. Er schämt sich jeder Liebesregung, er ist verurteilt zu ständiger Bewegung und nur skizzenhaftem Festhalten von Brocken der beobachteten Natur. Er gleicht dem Nachtwandler, der nur so lange das Gleichgewicht bewahren kann, als er geht. Die Bilder, die Beta gebrauchte, waren ein wirbelnder nebel, und vor dem völligen Zusammenbruch rettete ihn nur der trockene Rhythmus des Hexameters. Diese Eigenart seiner Dichtung kann man zum Teil seiner Zugehörigkeit zu einer unglücklichen Generation und zu einem unglücklichen Volk, zuschreiben.“
Czesław Miłosz: Verführtes Denken. S. 119f

Mit dem Decknamen „Beta“ ist Tadeusz Borowski (1922-1951) gemeint.
Czesław Miłosz (1911-2004) erhielt 1980 den Nobelpreis für Literatur.

„Das Erlebnis des Konzentrationslagers hat aus Beta einen Schriftsteller gemacht. Er entdeckte, dass sein eigentliches Gebiet die Prosa sei. In seinen Erzählungen ist Beta ein Nihilist. Unter Nihilismus verstehe ich aber nicht Amoralität. Im Gegenteil, er entspringt ener ethischen Leidenschaft, es ist die enttäuschte Liebe zur Welt und zu den Menschen. Beta will in seinen Beschreibungen bis ans Ende gehen, er will die Welt genau darstellen, in der für Empörung kein Platz mehr ist. Die Spezies Mensch steht in Betas Erzählungen nackt da, entkleidet von allen guten Gefühlen, die nur so lange andauern, als die Sittlichkeit der Zivilisation andauert. Die Sittlichkeit der Zivilisation ist zerbrechlich. Es genügt ein plötzlicher Wechsel der Lebensbedingungen, und die Menschheit kehrt in den Urzustand der Wildheit zurück.“
S. 127

„Viele hervorragende Autoren, wie Swift, Stendhal oder Tolstoj, haben in ihren Werken politische Leidenschaften ausgedrückt. Man darf sogar sagen: Dank der politischen Leidenschaft, h. h. dank einer wichtigen Wendung, die der Schriftsteller seinen Lesern mitteilen will, gewinnt das Werk an Kraft. Der wesentliche Unterschied zwischen den großen Schriftstellern, die die politischen Einrichtungen ihrer Zeit kritisierten, und den Schreibern vom Typus Beta scheint auf dem völligen Non-Konformismus der ersteren zu beruhen; sie standen im Gegensatz zu ihrer Umgebung, während Beta, wenn seine Feder übers Papier eilt, schon den Beifall der Parteikollegen hört.“
S. 134

Als ich diese Zeilen wieder las, stieg in mir unwillkürlich das Bild der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hoch. Sie ist eine, die für ihren tiefen Hass, ihre Zorn- und Wuttiraden bewundert, akklamiert und bezahlt wird. Sie schüttet Geifer auf die Österreicher, die fast alle in ihren Augen Nazis sind, inhumane Monster. Sie wütet gegen die Männer. Das Wüten hat seine Gründe, wird aber durch die Maßlosigkeit entwertet, gewinnt selbst Züge dessen, was sie kritisiert. Sie ist, wie Borowski, so eindimensional eingenommen von IHRER Sicht, IHRER Wut, dass sie nichts Anderes mehr wahrnehmen kann, als das alte Hassobjekt, das sie permanent füttert und pflegt. Eine Leiderin. Dankenswerter Weise schreibt sie nur. Würde eine Person mit diesem Hass in mächtigen Handlungspositionen walten, gewänne die Barbarei, gegen die sie anschreibt, reale Gewalt.

Diese Schriftstellerin richtet sich primär an ein ideales Publikum. Wie Beta, also Borowski, hat sie aber auch treue Leser, die als Jünger und Schwestern an ihren Lippen hängen, die ihr stets Beifall zollen. „“Während Beta, wenn seine Feder übers Papier eilt, schon den Beifall der Parteikollegen hört“ – das ist plausibel auf Jelineks Position und Funktion zu überragen: Der scheinbare Non-Konformismus, die extreme Kritik hat ihren wohlfeilen Platz in der Gesellschaft, erfüllt in ihr eine wesentliche Funktion, wofür sie sich des Beifalls sicher sein darf.  

Je länger ich den Zeilen von Miłosz folge, desto stärker packt mich ein Schrecken. Ich empfehle jedem, der am Totalitären, Barbarischen und allem was dazu führt oder was dessen Ausdruck ist Interesse hat, dieses Buch zu lesen, nicht nur wegen des Beta und Seinesgleichen, sondern wegen der minuziös dargestellten Geschichte der Zusammenhänge, Hinter- und Abgründe, die zum verführten Denken (und Handeln) führten und führen.


1 Kommentar:

  1. beim elfriede jelinek muss ich dir widersprechen.
    von ich finde nicht das sie hasserfüllt ist. ok gelesen habe ich von ihr nur wolken. heim. und Lust. sie vergrößert, verzerrt, verdreht spielt mit Klischees, mit alltagsprache mit mediensprache, sie schreibt als würde sie ein wildes Stück in Klavier spielen und die selber Melodie immer wieder neu interpretieren.
    und ich finde sie ist lustig,sie hat ein ausgezeichnete Humor, sie ist ein Satirikerin , das scheint manche ihre Kritiker würden das nicht merken. da ist ein Interview mit ihr ich finde sie ist umwerfend komisch ich habe richtig genossen ihre durchgeknallte art.
    http://www.a-e-m-gmbh.com/andremuller/elfriede%20jelinek%202004.html

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