Montag, 22. Dezember 2014

Wozu noch Intellektuelle?

Wozu noch Intellektuelle? - 
Rolf Wiggershaus im Gespräch mit Frankfurter Professoren
FRANKFURT. Polit-Consultants, Kommissionspezialisten, Lebensberater – wo aber sind die freien Intellektuellen, die als moralische Instanz in einer immer komplexer werdenden Welt Orientierung geben? Haben die Welterklärer mit ihrem „avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen“ ausgedient? Um auf solche Fragen konkrete Antworten geben zu können, hat der Philosoph und Schriftsteller Rolf Wiggershaus unter anderem mit dem Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. Klaus Günther sowie mit den Philosophie- Professoren Axel Honneth und Rainer Forst gesprochen. Sein Beitrag ist in der soeben erschienenen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“ 2/2014 veröffentlicht.

Die befragten Frankfurter Professoren waren sich darin einig, dass Wissenschaftler-Intellektuelle dann intervenieren sollten, wenn das Tagesgeschehen entgleist und andere noch beim „business as usual“ sind. Die Professoren-Intellektuellen von heute haben es aber nicht so leicht: Sie müssen zuerst einmal auf ihren Ruf als exzeptionelle Wissenschaftler bedacht sein und ihre herausragende Professionalität zur Basis ihres Handelns machen. Ansonsten werden sie schnell zu Medien-Intellektuellen, die – abgekoppelt von professionellen Leistungen – nur von ihrer Medienprominenz und ihrem Unterhaltungswert zehren.

Der Frankfurter Sozialphilosoph Jürgen Habermas hatte 2006 bei der Entgegennahme des Bruno Kreisky-Preises dargelegt, wofür Intellektuelle nach wie vor unerlässlich sind. Seine Wendung vom „avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen“ zielte auf die Kombination des Gespürs für einen gefährlichen Mentalitätswandel mit einem Sinn für das, was fehlt. Doch es reicht nicht, einerseits ausgewiesener Wissenschaftler mit ausgezeichnetem Ruf zu sein, andererseits sich öffentlich engagierender Bürger.

Wissenschaftliches Tun und intellektuelle Intervention müssen eng miteinander verbunden sein – ein Balanceakt zwischen fortschreitender wissenschaftlicher Spezialisierung und einem Überfluss an öffentlich präsentierten Problemdiagnosen und Verbesserungsvorschlägen. Klaus Günther plädiert dafür, sich auf intellektuelle Interventionen in solchen Bereichen einzulassen, in denen man sich als Wissenschaftler zuhause fühle. Was natürlich auch bedeute, in dieser Richtung weiter zu forschen, so dass die Rolle des Wissenschaftlers und des öffentlichen Intellektuellen sich ergänzten.

Für eine aussichtsreiche Intervention müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein. Dabei kommt es auch auf den richtigen Umgang mit den Medien an. In einer Situation unregulierter Konkurrenz brillieren Medien-Intellektuelle oft mit einem Feuerwerk von Behauptungen, Begründungen und Forderungen ohne erkennbare Logik und Richtung; dagegen können Intellektuelle, die nachdenkliche Feststellungen, interessante Argumente und unkonventionelle Alternativen ins Feld führen, gelegentlich schwerfällig und weltfremd wirken. „Die größte Autonomie und Selbstbestimmung über das eigene Wort und den eigenen Auftritt hat man in der Presse“, so Axel Honneth. Im Fernsehen dagegen „verfügt man nicht mehr über sich und setzt eine Art Verfremdungseffekt ein“. So ist es denn kein Wunder, dass Wiggershaus zu dem Schluss kommt:  „Intellektuelle, die Relevantes zu sagen haben, achten darauf, wo sie unter welchen Bedingungen intervenieren können. Talkshows halten sie nicht für die ultimative Arena öffentlichkeitswirksamer Auftritte und setzen auf viele Wege zur Einflussnahme auf die Gestaltung unserer Lebensform.“

In seinem Beitrag stellt Wiggershaus auch zwei Künstler-Intellektuelle mit exemplarischen „Interventionen“ vor: Theodor W. Adorno und Fatih Akin.
Adorno wäre wohl am liebsten Komponist und Pianist geworden. Talent und Zeitläufe bewirkten, dass er Professor für Philosophie und Soziologie wurde. Doch das war er nie nur. Stets blieb er ein leidenschaftlicher Verfechter avantgardistische Kunst und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung als „geschichtsphilosophische Sonnenuhr“. Er schätzte die Auseinandersetzung mit Kritikern moderner Kunst, denn so konnte er der kulturindustriellen Neutralisierung von Kunst entgegenwirken. Eine Probe seiner Fähigkeit zu „Eingriffen“ gab er, kaum aus dem US-amerikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt, 1950 beim ersten „Darmstädter Gespräch“.

Gesellschaftliche Bedeutung und Verantwortung hat ein Künstler auch für den Hamburger Filmemacher Fatih Akin, Sohn türkischer Einwanderer. 2007 wurde Hrant Dink, Mitbegründer und Chefredakteur der türkisch-armenischen Wochenzeitung „Agos“, in Istanbul auf offener Straße erschossen. Akin wollte einen Film über das Leben des von ihm verehrten Intellektuellen machen, doch kein türkischer Schauspieler war bereit, die Rolle des Ermordeten zu übernehmen. So entstand stattdessen „The Cut“ - ein Spielfilm, der mit den Mitteln des Hollywood-Kinos dem Verdrängten den Weg ins Bewusstsein gerade auch eines türkischen und türkischstämmigen Publikums zu bahnen sucht. „Es ist nur ein Film“, meinte Akin in einem Interview mit „Agos“, und für den sei die türkische Gesellschaft, als deren Teil er sich fühle, nun reif.

Informationen: Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ kann kostenlos bestellt werden: ott@pvw.uni-frankfurt.de. Im Internet steht sie
unter: www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de.




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