Samstag, 10. März 2012

Boycott-Tradition - Weitere Anmerkung zur Trotzki-Affäre

Sollen Zensur und Verbote durch "Qualitätskriterien" begründet und legitimiert werden? Also, wenn ein fragwürdiger, schlampiger Autor Fragwürdiges publiziert, bstünden keine Bedenken, sein Werk zu verbieten oder ihn als Autorenperson zu ächten, z. B. indem man Auftritte von ihm verhindert, Aufführungen von Stücken von ihm verunmöglicht usw.?
Umgekehrt, wenn ein Autor für gewisse Kreise als hochwertig gilt, soll das verbindlich für alle gelten, auch seine Gegner?

Wir kennen solche Probleme mit den Werken und Personen wie Rolf Hochhuth oder, etwas früher, Bertolt Brecht. Gerade in Österreich taten sich aufrechte, damals politisch Korrekte hervor, die stramm antikommunistisch den Wiener Brecht-Boykott durchsetzen. Begonnen hat es noch während der Besatzungszeit, gedauert hat der Boykott bis Anfang der Sechzigerjahre. Hauptbetreiber waren die Autoren Friedrich Torberg, Hans Weigel und der Burgtheaterdirektor Ernst Haeussermann.
Jene, die Brecht unterstützt hatten (Gottfried von Einem verwandte sich für ihn für eine österreichische Staatsbürgerschaft, was, als es 1951 öffentlich bekannt wurde, zu einem Eklat und lautstarken Protesten gegen den Kommunisten und DDR-Sympathisanten Brecht führte und auch Einem sehr schadete!).

Als trotz fast flächendeckender Boycottbeachtung in Graz Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" aufgeführt worden war, gab Günther Nenning im FORUM, dessen Herausgeber Torberg war, 13 Brechtkritikern (welche Ironie, dass damals nicht 14 mitwirkten!) Raum zur Auseinandersetzung. Weigels Forderung gipfelte in der Zumutung, dass die Theater selbst, aus sich heraus, aus ihre Einsicht in die gute Sache, Brecht-Stücke nicht spielen sollten: "... mit Gefühl für politische Sauberkeit sich die Berührung mit den Werken Bertolt Brechts selbst verbieten". Weitere Ironie, am Rande: Weigel verwendete ein Stereotyp, das in der Vorurteils- bzw. Antisemitisforschung prominent geworden ist, das der Berührungsangst bzw. des Berührungsverbots. Er, wie Torberg Jude, verwendet just dieses Stereotyp als Begründung. Es war (damals) anerkannt im politisch korrekten Lager, das eben antikommunistisch war.

Der Vergleich mit dem Appell an Suhrkamp drängt sich auf: Damals blieb es nicht nur bei einer Negation seitens des Burgtheaters, sondern die Verhinderung ergriff die gesamte Kulturszene. Würden die Historiker von heute mit ihrem Ansinnen erfolgreich sein, stünde zu befürchten, dass Services Werk, ganz unabhängig seiner Qualität, nicht nur nicht im Suhrkamp Verlag publiziert würde, sondern überhaupt nicht. Und dass die Kultur des Zensurierens und Verbietens gestärkt würde. Ein untauglicher Weg!

Die Parallelen zu den antikommunistischen Hetzkampagnen von damals gegen Linke zu den Hetzkampagnen gegen Rechte heute sind unübersehbar.

Die Gefahr ähnlicher Hatzen und Jagden durch Rechte ist manifest. Gewännen sie mehr Macht, würden sie sicher noch brutaler Gegner verfolgen. Aber das Gegenmittel darf doch nicht dieselbe Vorgangsweise sein! Es bedarf einer offenen Politik, die solches Vorgehen von KEINER Seite gestattet und ALLEN die freie Meinungsäußerung ermöglicht. Freiheit ist unteilbar. Auch für Gegner.


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