Freitag, 16. Dezember 2011

Spieglein, Spieglein an der Wand


Kürzlich nahm ich mir “Caffè Specchi“ von Giuliana Morandini, ins Deutsche übersetzt von Heinz Riedt, zur Lektüre. Nach dem ersten Kapitel gab ich auf. Zu viele Stilblüten irritierten mich, als dass ich das Risiko weiteren Ärgers einzugehen bereit gewesen wäre. Ich war verwundert.

Die Kritiken über die Autorin (1941 in Udine geboren; in einer Biografie im Internet las ich das Geburtsdatum 1938; ich konnte im Netz leider keine genauen Daten finden) sind durchwegs positiv, der Übersetzer (1919-1997) bekannt mit Übertragungen von Werken namhafter Autoren wie Primo Levi, Italo Calvino, Gadda, Pirandello und weiteren. Die deutsche Ausgabe ist mit einem Nachwort von Prof. Marino Freschi versehen. Die Autorin erhielt 1983 den Premio Viareggio für dieses Buch.

Trotzdem stolperte ich über Sätze wie diese:

„Erst als das dunkle Auto vor dem Hotel hielt, zögerte sie.“ 

Hätte sie vorher zögern sollen? Das „Erst“ bedeutet ein zeitliches Versäumnis. „Als das dunkle Auto vor dem Hotel hielt, zögerte sie.“ Man kann sagen, die Autorin teile damit bereits eine Spannung mit. Der nächste Satz erläutert: „Sie wäre gerne weitergefahren, aber der Taxichauffeur hatte dien Koffer schon herausgeholt.“ Sie hatte zum Hotel gewollt, aber doch nicht wirklich. Sie zögerte erst, hinsichtlich des Wunsches weiterzufahren, als der Wagen schon hielt. Dann war es zu spät, weil der Taxifahrer so schnell war. Aber nichts ist vorher und nachher gesagt, wann sie den Wunsch verspürt hat weiterzufahren. Wenn der erst aufkam, als der Wagen hielt, erübrigt sich das „erst“. „Doch als das dunkle Autor vor dem Hotel hielt, zögerte sie.“ Lauter verschiedene Aussagen und Bedeutungen. Der erste Satz ist unklar. „Erst“ kann auch eine Umstandsbestimmung sein: Erst X, dann Y, oder erst wenn... Doch im Kontext der Vor- und Nachsätze überwiegt (für mich) die temporale Bestimmung.

„Die Pferde rannten wie wahnsinnig mit dem entblößten Oberkörper der jungen polnischen Gräfin Maria.“ 

Hoffentlich rannten sie (wie „rennen“ denn Pferde?) mit der Gräfin Maria, und nicht nur mit ihrem Oberkörper. Dann wären sie nämlich nicht mit der Gräfin gerannt, sondern nur mit einem Körperteil von ihr. Die Pferde galoppierten also mit der Gräfin, deren Oberkörper entblößt war, nehme ich mal an, oder war die Gräfin grausam halbiert worden, und die Pferde „rannten“ mit dem nackten Körperteil davon?

„Das Meeresrauschen drang bis zur Scheibe hin.“ 

Aber sie, die hinter der Scheibe war, hörte es. Wie das, da es nur BIS zur Scheibe drang? Es muss doch durch die Scheibe gedrungen sein, wie Licht, das kein lichtdichter Vorhang abhält.

„Katharina versuchte, etwas zu sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen, brachte es nicht fertig, die ungelenken Bewegungen der Zunge zu artikulieren, die immer mehr anschwoll.“ 

Die Zunge ist weder gelenkig noch ungelenkig, sie kann es auch nicht sein, weil sie kein gelenkiger Teil des Bewegungsapparats ist. Sie kann flink, lahm, taub, angeschwollen etc. sein, aber nicht ungelenk. Und wie werden Bewegungen artikuliert? Wir artikulieren für gewöhnlich Äußerungen durch Betätigen des Mundapparats, der Gestik und Mimik. Hier schreibt die Autorin aber nicht von möglichen mimischen oder gestischen Bewegungen, sondern von verhindertem Sprechen, weil die Zunge ungelenk war und angeschwollen.

„Sie nahm ein Törtchen in die Hand. (...) Das Gebäck war platt und fasste sich kalt an, wie Keramik. „natürlich eine Attrappe“ ... „Aber was für ein Einfall, jetzt an Winter und Kuchen zu denken!“ Solche Törtchen hatte sie als Kind gegessen.“

Sie meint wohl, Törtchen, die wirklich welche waren, hatte sie als Kind gegessen und nicht solche, wie die Attrappe. Aber „Solche“ bezieht sich auf das im Vorsatz genannte Törtchen, welches eine Attrappe ist. Attrappen hat sie aber nie gegessen.

Ihr Atem beschlug die Scheiben, die jetzt nicht mehr vereist waren, sie formte auf ihnen Wasserwölkchen.“ 

Wie nett und magisch, dass sie Wasserwölkchen zu generieren verstand! Eine kleine Regenmacherin!

Vielleicht stoße ich mich zu pingelig an Mehrdeutigem. Vielleicht wiegen die Geschichte und profunde Sätze, die ich fände, läse ich weiter, diese Beispiele auf. Vielleicht sollte ich einem neuen Sprachstil folgen. Vielleicht haben die Lobenden Recht und ich lasse mich zu leicht irritieren, weil ich ja lesen könnte, was man meinen könnte zu lesen, zu imaginieren, sich vorzustellen usw. usf.

Vielleicht ist die Forderung nach Sprachqualität und Stil selbst schon eine obsolete Manier, eine Zumutung? 


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