Dienstag, 13. September 2011

Celans späte Poesiefeindlichkeit

In Ergänzung des Beitrags "Die fatale Art eines Nihilismus, gepaart mit unbändigem Hass" hier ein Zitat aus dem "Gespräch mit Klaus Demus über Paul Celan" von Anja S. Hübner und Detlev Schöttker, SINN & FORM 63(2011)4:475-481

Schöttker: Aber Sie waren doch ungeheuer fasziniert von seinen Gedichten, geradezu magisch angezogen, wie die Briefe zeigen.

Demus: Von seiner Sprache und von seinem dichterischen Genie! Aber sein Gedichtbegriff war für mich nicht verbindlich. Es gab bei ihm, auch wenn er das bestritten hat, einen Zusammenhang mit dem Surrealismus. Und der leugnet ja die Bindung an die Wirklichkeit.

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Hübner: Celan hatte in Wien auch Kontakt zu dem Maler und Grafiker Edgar Jené. 1948 schrieb er den Beitrag "Edgar Jené und der Traum vom Traume" für einen Band mit dessen Lithographien.

Demus: Celan und Jené hatten keine enge Verbindung, obwohl er eine Zeitlang bei den Jenés wohnte. Celan hat nachher die Jené-Graphik aus den Exemplaren von "Der Traum vom Traume" herausgerissen, wenn er sie verschenkt hat. Er wollte sich damit nicht einig zeigen.

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[Zur Begegnung von Heidegger und Celan:]
Demus: Das "Todtnauberg"-Gedicht wird bis jetzt falsch gedeutet. Der Celansche Text ist meiner Überzeugung nach nichts als das schlichte Denkmal einer Begegnung, das die wenigen Einzelheiten, die es gab, als gemeinsam beschrittenen Weg festhalten will – ohne doppelbödige Tendenz. Aber man hat ja sogar die "Knüppelpfade" als KZ-Anspielung deuten wollen! Hierfür gilt doch wohl: "Honni soit qui mal y pense!" Außerdem ist es lächerlich.

(...)
Hübner: War Ihnen und Celan bewußt, welche Bedeutung die "Todesfuge" bekommen sollte, nachdem das Gedicht Ende der vierziger jahre erstmals auf Deutsch gedruckt worden war? In den sechziger jahren wurde es eines der bekanntesten Gedichte überhaupt.

Demus: Nein, das war uns zunächst nicht bewußt. Celan konnte das Gedicht später nicht mehr ausstehen. Es ist hochgespielt worden.Wir haben Celan sehr oft die "Todesfuge" sprechen hörten, aber schließlich hat er gesagt: "Nicht die 'Todesfuge', es ist kein gutes Gedicht."

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Schöttker: Es kommt in den Briefen zum Ausdruck, daß Sie die Veränderungen in der Lyrik Celans mit seiner Krankheit in Verbindung gebracht haben.

Demus: ja, seit dem Band "Niemandsrose" von 1963. Seither habe ich Celans Gedichtbegriff nicht mehr anerkennen können. Er hatte sich sehr verändert. Die einzigartige Liebenswürdigkeit, die sich bis dahin auch in seiner Lyrik ausgesprochen hatte, wich einer ganz anderen Haltung, die ich jetzt gar nicht charakterisieren will. Jedenfalls habe ich dies als poesiefiendlich empfunden.

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Celan, das geht aus den zitierten Stellen hervor, konnte also sehr resolut sein. Wie hätte er reagiert, wenn jemand aus einer Zeitschrift, in der Gedichte von ihm abgedruckt sind, just diese herausgerissen hätte, bevord er sie verschenkt?

Celan war liebenswürdig.

Celan litt an Paranoia und sah sich überall von Feinden umgeben. Viele Freundschaften zerbrachen deshalb. Trotzdem ist der Hinweis auf Auswirkungen dieser Krankheit auf sein Werk öffentlich nicht (sehr) bekannt. Demus' Urteil, er habe das Spätwerk "poesiefeindlich" gefunden, verdient näher untersucht zu werden.

Unabhängig davon, deshalb habe ich diesen Text als Ergänzung notiert, wird aber aufgezeigt, dass er später in "einer ganz anderen Haltung" schrieb. Hierin sehe ich eine Nachbarschaft zur hassenden Jelinek, obwohl ihr Hass keiner Paranoia entspringt (soweit öffentlich bekannt). Die Wahrscheinlichkeit, dass seine dunklen Gedichte eingefärbt sind vom Verfolgungswahn, von der generellen Feindsicht (Max Frisch war ihm ein Nazi ebenso wie René Char, um nur zwei prominente zu nennen), klingt plausibel. Dass sie wie Gebete, wie Heiliges verehrt werden, entspricht nicht nur der eigentümlichen Rezeptionshaltung, sondern auch den Texten.

Bemerkenswert auch die Anmerkung zur gängigen, falschen Deutung am Beispiel von "Todtnauberg". Das ließe sich auf viele andere Gedichte übertragen. Ein Beleg mehr für die Gewalt der herrschenden Rezeptionshaltung.

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